Bikes statt Bits!

Unterm Weihnachtsbaum sind immer seltener Fahrräder zu finden. Ein Appell an alle Eltern.
Unterm Weihnachtsbaum sind immer seltener Fahrräder zu finden. Ein Appell an alle Eltern. Foto: Maygutyak

Und unterm Weihnachtsbaum ein neues Fahrrad für die Kleinsten. Doch leider werden Rad fahrende Kinder immer seltener. Ein Kommentwar von Gunnar Fehlau*

(bb) Weihnachten: Die ersten Meter mit dem neuen Fahrrad. Direkt im Wohnzimmer, im Flur oder in der Tiefgarage der Wohnanlage. Das sind Momente vollster Zufriedenheit, Glückseligkeit und dem Wissen, dass gerade Großes passiert – für Kinder und Eltern. Für mich stehen diese Erlebnisse in einer Reihe mit dem ersten Kuss oder dem ersten Kind. Radfahren ist eine wichtige Kulturtechnik zur Ermächtigung, die Welt zu entdecken und sich zu erschließen. Verantwortungsvolle Eltern unterstützen ihre Kinder dabei. Doch stattdessen gibt es immer mehr Eltern, die dem Bewegungsdrang und der Entdeckerlust der Kinder Steine in den Weg legen. Das prangere ich an! Und damit bin ich übrigens nicht alleine.

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Hauptsache ohne Display

Das Leben unserer Kinder wird früh genug (zu) digital. Passend zum Fest bringen Spielehersteller, Smartphonefabrikanten und Konsolenkonzerne ihre Neuheiten heraus. Die kleinen Konsumenten sind im Weihnachtsgeschäft fest eingeplant. In Freundeskreis und selbst in der Schule lauern die Verlockungen der Bildschirme bereits mannigfaltig. Die Kosten sind egal. Wenn der Nachbarsjunge das neue Iphone bekommt, kriegt es unser Kind auch. Eltern und Großeltern sollten dies aber nicht weiter befeuern. Zeit und Gelegenheit zum Gegenlenken! Und zwar mit einem Fahr- oder Laufrad oder Roller oder Rutscher. Hauptsache ohne Display und Motor. Hauptsache, der Dreikäsehoch kann damit alleine in die Welt. Hauptsache, es passiert. Und wer ein Handy für nen Tausender schenken wollte, hat keine faktengestützte Grundlage, den Kauf eines guten Kinderrades oder -fahrzeugs mit Verweis auf dessen hohen Anschaffungspreis zu unterlassen.

Der SUV im Kopf

Die Realität sieht leider anders aus: Eltern fahren ihre Kinder mit dem SUV zum Kindergarten, weil der Weg doch so gefährlich ist und beklagen sich dann über den Stau und die Bequemlichkeit des Nachwuchses. Gleichzeitig wird der Nachmittag mit Musik- und Sportunterricht vollgeballert, unter der Vorgabe, dem Kind eine optimale Abschussrampe in den Karriereorbit zu geben. Vom Englisch- und Mandarin-Unterricht im Kindergarten ganz zu schweigen. Ich verstehe diese Eltern nicht. Die Anamnese mit Gefahr, Stau und Karriere mag ja richtig sein, die Schlüsse hingegen sind die Falschen. Alles, was ihr Kind braucht, ist ein Fahrrad. Denn: Radfahren macht fit. Radfahren ist gesund. Radfahren macht schlau. Radfahren macht selbstständig. Radfahren bringt individuelle Mobilität und gesellschaftliche Anliegen zum Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Flächenbedarf in Einklang. Radfahren ist herrliche Wahrnehmung mit allen Sinnen. Ohne Motorsurren oder Windschutzscheibe. Ohne App-in-Käufe oder Datenvolumen.

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Eltern als Servicekräfte

Das Fahrrad ist fürs Kind das Vehikel in die Freiheit und Selbstständigkeit. Und genau das ist doch letztlich die Aufgabe der Eltern. Mit dem Durchschnitt der Nabelschnur beginnt dieser Abnabelungsprozess, der im eigenständigen Leben des Kindes jenseits der Volljährigkeit seinen Höhepunkt erfährt. Eltern unterstützen dies, anfangs im Vollservice über 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, 52 Mal im Jahr. Die Quantität mag über die Zeit sinken, die Qualität jedoch nicht. Erst geht es um einen sorgsamen Wechsel der Windel, später um einen sicheren Wechsel der Fahrbahn! Worin liegt der Unterschied? Eltern sind Eltern und werden es ein Leben lang bleiben. Die Ängste der Eltern sind nicht die Ängste des Kindes. Das Kind eignet sich diese erst an, um keine Dissonanzen im System zu verursachen. Darum sollten Eltern ihre Ängste bearbeiten, statt Kindern durch Verbote und Unterlassungen vermeintlich zu schützen. Kurz gesagt: das Problem am Kinderradeln sind die Eltern! Ein sicherer Ort zum Radeln oder Rutscher fahren findet sich überall. Aber nur wer ihn sucht, kann ihn auch finden! Das Rad fürs Kind kann auch ein tolles Vehikel sein, durch das die Eltern ihre (Wohn)Umgebung neu entdecken. Also liebe Eltern, ziehen Sie die guten Vorsätze zum Jahreswechsel vor! Schenken Sie Ihrem Nachwuchs einen fahrbaren Untersatz. Ihr Kind ist sicher gerne der Anführer auf dieser urbanen Safari! Trauen Sie sich! Und trauen Sie dies Ihrem Kind zu! Gute Fahrt!

Ihr Gunnar Fehlau

* Gunnar Fehlau ist ein deutscher Fachjournalist und Buchautor rund um das Themengebiet „Fahrrad“.